Dienstag, 30. Mai 2017

Anonymous Rex -die Dinos sind unter uns

Durch Zufall bin ich an ein Buch geraten, welches ich mir wohl kaum jemals gekauft hätte!

Auf einer Parkbank hatte ich mittags einen liegengebliebenen Einband gesehen. Ich ging davon aus, dass jemand den Verlust bemerken und das Buch bald abholen wuerde. Als um Mitternacht bei meiner letzten Hunderunde das Buch noch immer dort lag und bei einsetzendem Nieselregen Schaden zu nehmen drohte, habe ich es als liber amicus in meine Obhut genommen und gerettet.

Unter dem Titel "Anonymos Rex" konnte ich mir gar nichts vorstellen und die ersten gelesenen Seiten verwirrten mich zusätzlich. Da erzählt ein Detektiv von seinem aktuellen Beschattungsjob und dass er "auf Basilikum" ist, das erst einen Glimmer verursacht und dann ordentlich knallt ???!!!

Wenig später erschliesst sich mir: ich bin an einen Fantasyroman geraten! Die Dinosaurier sind vor Millionen von Jahren nicht ausgestorben, sondern haben sich der menschlichen Lebensform angepasst. Sie sind kleiner geworden, haben sich dem menschlichen Denken angepasst und gelernt sich unbemerkt in der menschlichen Gesellschaft zurecht zu finden. Mit aufwändigen Kostuemen und Masken aus Latex, mit Gurten und Schnallen quetschen sie sich in menschliche Formen und leben unbemerkt unter den Homo Sapiens. Als Erbe ihrer Gattung sind sie besonders stark und haben hoch entwickelte Sinne und Instinkte.

Der Held des Romans ist ein Velociraptor namens Vincent Rubio. Ein auf dem absteigenden Ast befindlicher Detektiv, ein absoluter Loser, der einen letzten Auftrag von seinem Chef erhält, nachdem er zuvor mit einem Auftrag kläglich gescheitert ist und den Tod seines besten Freundes zu verantworten hat.

Nicht ganz Ernst zu nehmen, schrullig, amuesant und skurril wird ein Skandal ausserordentlichen Ausmasses aufgedeckt, der die moralischen Empfindungen der Dinowelt erschuettert. Unter Einsatz seines Lebens ermittelt Rubio in Los Angeles und New York und trifft dabei auf verlogene Menschen, sinnenfreudige Saurier, ruecksichtslose Wissenschaftler und verfuehrerische Frauen.

Jurassic Park mal anders 😃 Ermittlungen in der Dinosaurier Unterwelt, Scharaden, tödliche Begegnungen, gefährliche Spurensuche und Verfolgungsjagden machen das Buch unterhaltsam und spannend und auch eine humorvolle Komponente kommt nicht zu kurz. Es ist kurzweilig und die 300 Seiten lesen sich schnell weg. 

Mir hat die Lektuere Spass gemacht. Wer nicht alles bierernst nimmt und einfach mal "just for fun" eine verrueckte Geschichte lesen will, der sollte sich an diesen Roman heranwagen. Habe uebrigens gerade herausgefunden, dass er verfilmt wurde 😮

Samstag, 4. März 2017

A little life/ Ein bisschen Leben von Hanya Yanagihara

Wer sich nicht vor dicken Buechern fuerchtet, seine Nervenstärke austesten möchte und sprachliche Gewandtheit (hoffentlich auch in der deutschen Uebersetzung, ich habe das englische Original gelesen) liebt, der sollte dieses Buch der Newcomerin Hanya Yanagihara nicht verpassen. Auf immerhin 720 Seiten jagt uns die Autorin durch das "bisschen Leben", dass so viele Tiefen, so viele Wendungen und so ein furioses Ende hat, dass man sich am Ende selbst fuehlt, als sei ein viel zu kurzes Leben zu Ende gegangen. Trotz des grossen Leseumfanges hielt ich das Buch nach dem Durchlesen in der Hand und fuehlte eine Leere, wie selten in solch einem Moment. Nach kurzem Ueberlegen fing ich von vorne an zu lesen. Das konnte doch nicht alles einfach so vorbei sein!

Ich werde in meiner Besprechung nicht all zu viel von den Inhalten verraten, um die unglaublichen und mitreissenden Ereignisse nicht vorwegzunehmen. Ich rate auf jeden Fall davon ab, die ueblichen Rezensionen vorab zu lesen. Darin wird leider sehr viel verraten, was dem Buch einen Teil der Spannung nimmt.

Es beginnt wie ein amerikanischer Traum: vier Collegefreunde, alle ungewoehnlich talentiert, gut aussehend, zum Teil mit reichem Elternhaus, versuchen nach dem Studium in ihren Berufen Fuss zu fassen. Der charmante, blendend aussehende Frauenschwarm Willem als Schauspieler, der verträumte Malcolm aus reichem Elternhaus (der einzige der vier, der noch zu Hause wohnt) als Architekt, der unterhaltsame, geistreiche J.B. als Maler und schliesslich Jude, aufopferungsvoller, liebender Freund und hochbegabt als Jurist. Er ist als Waisenjunge im Kloster und im Heim aufgewachsen, hat eine leichte Gehbehinderung und ist von den Vieren der sensibelste. Die Vier sind lebenslang unzertrennbar, geben aufeinander Acht. Jude ist der charismatische Mittelpunkt des Quartetts.

Aber mit jedem Kapitel bekommt der Traum mehr Risse. Es sind nicht die Äusserlichkeiten, sondern die Gefuehle, die Ängste, die Zweifel, die an dem schönen Leben nagen. Vor allem Judes Lebens- und Leidensgeschichte wird Schicht um Schicht frei gelegt und schockiert mit ihrer Heftigkeit. Mit Wucht und ohne Ruecksichtnahme lässt uns die Autorin in Abgruende blicken, lässt uns Schmerz und Verzweiflung miterleben. Man wird von dem Strudel mitgerissen und kann nicht aufhören zu lesen. Manchmal ist das Weiterlesen selbst eine Art Folter. Auch fuer die Freundschaft der Vier wird Judes Ringen mit den Geistern der Vergangenheit zur Zerreissprobe.

Wer sehr zart besaitet ist, wird die Geschichte schwer ertragen können. Noch nie habe ich die Gefuehle, die verdrehte Wahrnehmung, die fern ab von der Realität im tiefsten Inneren gezogenen Schluesse einer verletzten Seele so intensiv mitfuehlen können. Yanagihara versteht es meisterhaft Zweifel, Selbstverachtung, Versagensängste und tiefste Verzweiflung zu beschreiben. 

Aber wir erleben auch tiefe Freundschaft, wahre Liebe und menschliche Guete. Wir können eine wunderbare Liebesgeschichte miterleben. Zwei Menschen, die sich zutiefst vertrauen und lieben, ueber alle Konventionen hinweg. Kann diese Liebe Heilung fuer Judes tief verborgene Verletzungen bringen?
Ich werde es nicht verraten. Und empfehle es selbst herauszufinden.

Dienstag, 7. Februar 2017

Ein Albtraum fuer alle Eltern

Ihr habt zwei Tage Zeit Euch nur dem Lesen zu widmen? Ihr habt als Muetter starke Nerven? Dann beginnt das Buch "Das Mädchen, das rueckwärts ging" von Kate Hamer zu lesen. Man kann es nämlich nicht aus der Hand legen, bis man zum Ende und damit zur Aufklärung gekommen ist.

Als Carmel 8 Jahre alt ist und mit ihrer Mutter ein Kinderfestival besucht, verschwindet sie spurlos. Die verzweifelte Mutter wird von Schuldgefuehlen, Hoffnung, Verzweiflung getrieben. Alles Suchen, jede Spur bleibt erfolglos. Jahrelang bleibt die Tochter verschwunden. Der verwaisten Mutter bleibt nichts anderes uebrig, als weiter zu leben und sich ihr Leben ohne ihr Kind zurueck zu erobern. In dieser Zeit werden der Ex-Ehemann und Vater von Carmel und seine neue Frau ihre engsten Vertrauten. Plötzlich wird das möglich, was das Elternpaar frueher nicht geschafft hat: man redet miteinander, man vertraut sich einander an, man teilt den Schmerz.

Weit weg von zu Hause lebt Carmel nun mit ihrem vermeintlichen Grossvater und seiner Lebensgefährtin. Auch sie muss sich mit ihrem neuen Leben arrangieren. Sie wurde von einem religiösen Eiferer und Scharlatan entfuehrt, der in ihr eine besondere Gabe entdeckt zu haben glaubt und die "Enkelin" als Heilerin bei religiösen Versammlungen auftreten lässt.

Einfuehlsam und  und gefuehlvoll schreibt die Autorin uns die Verzweiflung der Mutter ins Herz, aber auch die Selbstbehauptung des Mädchens, dass seine Ängste und Einsamkeit ueberwindet, sich zwar mit seiner neuen Lebenssituation abfindet, aber seine wirkliche Identität und die Liebe zur Mutter nie verrät. Der Erzählstrang wechselt jeweils in die Perspektive der Mutter zu der der Tochter.

Sehr nachvollziehbar und authentisch können wir als Leser den Kampf der Mutter um ihr Kind und ihr Seelenheil miterleben und gleichzeitig Carmels Entwicklung vom Kind zum selbstbewussten jungen Mädchen mitverfolgen. Wohl kaum jemanden haben nicht als Eltern Verlustängste geplagt, und sei es nur fuer Momente, in denen man die Kinder verloren glaubte und die die Welt um einen herum und das tiefste Innerste zusammen brechen liessen. In diesem Buch wird der Albtraum wahr und wir durchleben ihn mit Mutter und Tochter.

Donnerstag, 12. Januar 2017

Ihr wollt wissen, was in den USA abgeht?


T.C. Boyle lässt uns ein wenig in die Seele der USA abseits von Glamour und Hollywood blicken. Hier geht es nicht um "Yes we can" um "Change" oder eine bunte Regenbogengesellschaft. Hier sind wir in der Weite Amerikas, dem Land des weissen Mannes. Des wuetenden weissen Mannes. Hier zählt "This land is my land" und "I stand my ground". Das Verständnis von persönlicher Freiheit geht hier so weit, dass die Arbeit der Polizei als unzulässige Einmischung in persönliche Angelegenheiten empfunden wird.

Adam, der tragische Held des Romanes, ein Kind der Wohlstands-gesellschaft, ist längst ein Aussenseiter geworden. Er träumt sich in den Wilden Westen hinein und eifert seinem Idol John Colter nach, der sich gegen alle Feinde verteidigen kann und dem Schicksal immer wieder ein Schnippchen schlägt. Wie er fuehrt Adam ein einsames Leben ausserhalb des gesellschaftlichen Rasters. Anders als ein Held erträgt er sein Dasein jedoch fast nur vollgedröhnt und hat sich in den Bergen eine Hanfplantage angelegt. Jede Begegnung mit der "normalen" Welt endet gewöhnlich im Chaos, weshalb er nur selten Kontakt sucht. Eine Liebesaffäre mit einer Gleichgesinnten, die ihren eigenen Krieg gegen die Behörden fuehrt aber noch nicht aus der Welt gefallen ist, bringt ihn punktuell wieder mit der Gesellschaft zusammen. Mit Sara verbindet ihn Sex und der gemeinsame Hass auf die Ordnungsbehörden.  Weil sie "keinen Vertrag mit dem Staat" und ihr Auto nicht ordnungsgemäss angemeldet hat, wurde dieses bei einer Polizeikontrolle ebenso konfisziert wir ihr Hund, der in ein Tierheim gebracht wurde. Die Befreiung ihres Hundes hat fuer sie oberste Priorität und Adam wird zum Unterstuetzer. Ein widerrechtlicher Befreiungsversuch, befeuert von Adams gewalttätigem Hass fuehrt endgueltig ins Chaos.

Adams innere Wut, die ausweglosen Situationen, in die er sich immer wieder hinein manövriert hat und ein zunehmender Realitätsverlust steigern seine Gewaltbereitschaft und befeuern die Spirale von Gewalt und Gegengewalt. Die Staatsgewalt ruestet auf und es kommt zum finalen Showdown.

Meisterhaft beschreibt T.C. Boyle die Schule der Gewalt. Hier lernen wir die Persönlichkeiten und die Gemuetszustände kennen, die zu den gewalttätigen Endladungen fuehren, von denen wir mit Entsetzen in den Medien hören. Die Frage, wie viel Freiheit und wie viel Individualismus eine Gesellschaft aushalten kann und muss, drängt sich auf. Der Härtetest fuer unsere deutsche Gesellschaft hat mit immer brutaleren Gewaltexzessen, der Fluechtlingswelle, dem Terrorismus, den Reichsbuergen, dem wiederkehrenden Nationalismus wohl gerade erst begonnen.