Die Corona Pandemie und die Kontaktsperre, geschlossene Theater, Kinos, Museen, Restaurants und Kneipen verändern das Leben so grundsätzlich, dass jeder von uns auch den eigenen Tagesablauf und seine Aktivitäten anpasst.
Nun auch hier einmal etwas anderes: keine Literaturempfehlung sondern eine Filmempfehlung! Die 4teilige Netflix Miniserie "Unorthdox" ist so ungewöhnlich, so informativ und mitreißend, dass ich hier allen, die die Möglichkeit haben Netflix zu schauen, dringend anraten möchte diese Folgen anzuschauen.
2017 war ich zum ersten Mal in New York/ Williamsburg und war überrascht die männlichen jüdischen Einwohner dort nicht nur in den bekannten schwarzen Mänteln und Hüten zu sehen, sondern in einer Tracht, die mir bis dahin völlig unbekannt war: auf dem Kopf riesige kreisrunde Fellhüte; schwarze, seidig glänzende, wadenlange, morgenmantelartige Roben, mit einem Stoffgürtel gebunden; darunter weiße Strümpfe und zierliche Slipper. Die Frauen in altmodischen langen Röcken, mit Perücke und/oder Kopftuch, die Kinder ebenfalls in altmodisch anmutender Kleidung und die Mädchen mit einer dicken Schleife auf dem Kopf. Obwohl es Samstag war, blieben die Straßen wie leer gefegt und nur wenige Familien bewegten sich langsam durch die Straßen, als würden sie an einem Faden gezogen. Google brachte Aufklärung darüber, dass es sich hier um orthodoxe chassidische Juden handelt.
Damit sind wir beim Thema, denn "Unorthodox" (nach dem gleichnamigen Roman von Deborah Feldman) handelt von der jungen Esty, die in der ultra-orthodoxen chassidischen Gemeinschaft der Satmar in Williamsburg/ New York aufgewachsen ist und sich den strengen Regeln, denen jedes Handeln im Alltag unterliegt, unterwerfen muss. Das fällt ihr schwer, denn sie fühlt anders als die Frauen in ihrem Umfeld und ist mit sich nicht im Reinen. Zu viele unbeantwortete Fragen stehen im Raum, und Glück und Zufriedenheit mögen sich nicht einstellen.
Das verstärkt sich noch, als das zierliche, unerfahrene Mädchen von den Eltern arrangiert mit einem ebenso unerfahrenen jungen Mann verheiratet wird. Die religiöse Gemeinschaft erwartet eine devote Frauenrolle, die sich primär auf das Gebären möglichst vieler Kinder und die Erfüllung der Bedürfnisse des Ehemannes begrenzt. Wohin mit dem Wunsch nach Teilhabe, mit den verwirrenden Gefühlen, mit der Sehnsucht nach Wertschätzung und Liebe, nach Hilfe bei Unzulänglichkeiten oder mit der Angst, nicht zu genügen? Wohin mit einem ständigen Gefühl der Überforderung in einer Gemeinschaft, die keine Individualität und kein Versagen duldet? Als der Druck zu groß, die Erwartungen an sie zu übermächtig werden, flüchtet Esty aus ihrem seelischen Gefängnis zu ihrer Mutter nach Berlin. Diese hat ähnliche Erfahrungen gemacht und wurde von der Gemeinschaft wegen ihres Lebenswandels geächtet. Die Tochter hatte man ihr fort genommen.
Nun erlebt Esty eine ihr fremde Welt. Junge Menschen, die frei und freizügig ihren Neigungen und Talenten nachgehen. Eine Liberalität zwischen den Geschlechtern, die ihr fremder nicht sein könnte. Nun ist sie in dem Land, dass viele ihrer Vorfahren nicht lebend verlassen konnten. Das die vielen Toten, die in ihrer Religionsgemeinschaft allgegenwärtig sind, zu verantworten hat. In diesem Feindesland geht es ihr gut. Sie fühlt sich angenommen, ermutigt. Eine Schlüsselszene spielt am Wannsee, als ein Freund auf die Villa am Ufer deutet, in der die endgültige Vernichtung der Juden beschlossen wurde. "Und in diesem See badet ihr?" fragt sie entsetzt. Aber auch sie geht schließlich in das Wasser und wird beinahe wie bei einer Taufe gereinigt und wiedergeboren. Wie eine Befreiung wirkt der Moment, in dem sie ihre Perücke abnimmt und damit sichtbar wird. Man fühlt förmlich, wie sie die Herausforderung annimmt, sich in dem fremden Land zu behaupten.
Während Esty sich langsam eingewöhnt, ihr Leben in die Hand nimmt, ihren Träumen nachgeht, zerbrechlich und mutig zugleich, hat sich ihr Ehemann mit einem gefährlichen Häscher ebenfalls auf den Weg nach Berlin gemacht, um seine Frau zurück zu holen. Wie rollende Steine laufen die jeweiligen Handlungsstränge des Ehepaares aufeinander zu.
Während Esty sich langsam eingewöhnt, ihr Leben in die Hand nimmt, ihren Träumen nachgeht, zerbrechlich und mutig zugleich, hat sich ihr Ehemann mit einem gefährlichen Häscher ebenfalls auf den Weg nach Berlin gemacht, um seine Frau zurück zu holen. Wie rollende Steine laufen die jeweiligen Handlungsstränge des Ehepaares aufeinander zu.
Die großartige, zarte israelische Schauspielerin Shira Haas geht in der Rolle der Etsy auf. Sie zieht uns hinein in die Konflikte, lässt uns mit leiden und mit hoffen und uns an ihrem Erwachen und Erwachsen werden teilhaben. Die authentische Darstellung der Lebensverhältnisse in der religiösen Gemeinschaft und die originalgetreuen Kostüme tun ein übriges, den Zuschauer in eine fremde, hermetische Welt eintauchen zu lassen. Alle Szenen die in New York spielen und die Dialoge der zur Gemeinschaft gehörenden Personen werden im jiddischen Originalton mit Untertiteln gezeigt. Man bekommt einen tiefen Einblick in die Lebens- und Gedankenwelt der Chassiden. Ja, sogar ein hohes Maß an Verständnis.
Der Film kommt ohne Schuldzuweisungen, Vorwürfe und unterschwellige Anklagen aus. Trotz der seelischen Qualen, dem Gefangen sein in den Traditionen und den tragischen Ereignissen versinkt die Geschichte nicht in Depression oder Hoffnungslosigkeit. Im Gegenteil, sie ist lebensbejahend und ermutigend .
Es lohnt sich nicht nur diesen wunderbaren Film anzusehen, sondern unbedingt auch das sehr lehrreiche "Making of" und die im Netz verfügbaren Interviews mit der klugen und eloquenten Autorin Deborah Feldman ansehen.
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