Mittwoch, 23. Januar 2019

Carlos Ruiz Zafon- Der dunkle Wächter

Der Schatten des Windes, Das Spiel des Engels- zwei Romane des Autors, die ich verschlungen und geliebt habe. Sprachlich eine Wonne und spannend bis zum letzten Wort. Immer geheimnisvoll und manchmal ein bisschen unwirklich.

Als ich auf den o.g. Titel stieß, war ich erstaunt auf dem Backcover zu lesen: "Herrlicher Schauerroman". 

Tatsächlich wird hier hier vom Autor eine Geschichte entwickelt, deren Rezept lauten könnte: man nehme viel von der Fähigkeit eines Zafon, die Charaktere liebevoll zu zeichnen und die Leser atmosphärisch einzuwickeln, gebe ein wenig von der urfaustschen Idee, ein wenig Daphne du Maurier, einen Schuss Edgar Allen Poe und eine Prise Liebesgeschichte a la Rosamunde Pilcher dazu, mische kräftig und bringe es langsam zum Kochen.

Zafon entführt uns in die 30er Jahre an die französische Atlantikküste in ein verschlafenes Fischernest nahe dem Mont Saint Michel. Die Mutter zweier Kinder, deren Ehemann und Vater verstorben ist und sie mittellos zurückließ, bekommt die Chance ihrer Armut in Paris zu entfliehen und für einen Spielzeugfabrikanten zu arbeiten, der nahe dem Dorf in einem unheimlichen Herrenhaus wohnt. Schon bald bekommt die Idylle Risse: eine alte, unheimliche Geschichte um den verlassenen Leuchtturm und das Herrenhaus kommt langsam zu Tage.  Die kleine Familie wie auch der charmante Hausherr geraten in einen gefährlichen Strudel von Hass, Rache und Zerstörung als ein alter Fluch zurückkehrt und seinen Tribut fordert. Hausherr, Mutter und Kinder müssen verzweifelt um ihr Leben kämpfen 

Es ist sicher 30 oder gar 40 Jahre her, dass ich Schauergeschichten von Poe und anderen geliebt und verschlungen habe. Heute sind es eher realitätsnahe Kriminalromane oder ergreifende menschliche Schicksale und Familiengeschichten, die mich erschauern lassen. So war es etwas schwierig, mich auf das Phantastische und Unrealistische in diesem Roman einzulassen. Es ist mir auch nicht ganz gelungen. Dennoch kann ich nach der Lektüre konstatieren: ein gutes Buch.  Vor allem für diejenigen, die Phantasy und Fiction mögen. 

Montag, 21. Januar 2019

Freya von Moltke- Ein Jahrhundertleben 1911-2010

In dieser Biographie lernt man nicht nur Freya von Moltke kennen, sondern eine Reihe von bekannten Persönlichkeiten, mit denen Freya und ihr Mann, der Widerstandskämpfer Helmuth James von Moltke bekannt waren. 

Nahezu ein ganzes Jahrhundert hat Freya durchlebt. Sie hat die Schrecken zweier Kriege, Flucht und größte wirtschaftliche Not durchgestanden und ihrem Mann durch die Zeit seiner Haft, die Verzweiflung, die Hoffnung  und die Hoffnungslosigkeit bis zu seiner Hinrichtung beigestanden. Sie hat in Deutschland, Südafrika und den USA gelebt, Nationalsozialismus, Apartheid und Rassendiskriminierung miterlebt. Und nach dem Krieg das schnelle Geschichtsvergessen in Deutschland.

Mit nahezu unmenschlicher Stärke hat sie alle Gefühlsqualen, jede Gefahr, jede Notlage und menschlichen Tragödien durchgestanden. Ausgestattet mit außerordentlicher Liebesfähigkeit, grenzenloser Treue, Verbundenheit und Pflichtgefühl. Eine starke Frau, bewundernswert und vorbildlich. Und doch hat sich mir immer wieder die Frage gestellt: was hätte aus ihr werden können, wenn sie sich nicht so ausnahmslos in den Schatten ihrer Männer gestellt hätte? Wo ist sie selbst, ihr Eigenes, ihr Werk zu finden? Was wäre ihr eigenes Ziel gewesen? Ein wenig schäme ich mich dafür, diese mutige Frau, die so viel Stärke und Größe bewiesen hat, nicht uneingeschränkt bewundern zu können. Mein von der heutigen Zeit geprägtes Verständnis von Emanzipation und Selbstverwirklichung steht mir da wohl im Wege. Vielleicht wurde aber auch von der Biografin das Individuum Freya nicht genügend herausgearbeitet. Vielleicht hatte Freya mehr eigenen Willen, mehr eigene Vorstellungen und Ziele, als in dem Buch dargestellt wird.

Als Kind eines Bankiers und einer adeligen wächst Freya Deichmann behütet im Wohlstand auf. So recht weiß sie nichts mit sich anzufangen, hat keine Vorstellung von dem, was sie einmal im Leben werden möchte und lässt sich eher von den Umständen leiten. Eine Hauswirtschaftsschule besucht sie wohl eher in Ermangelung einer besseren Idee. Immerhin merkt sie, dass das Lernen ihr leicht fällt und Freude bereitet. So bereitet sie sich privat auf die Abiturprüfung vor, die sie mit guten Noten besteht. 1929 mit 18 lernt sie Helmuth von Moltke kennen und verliebt sich in ihn. Fortan ist er ihr Lebensinhalt und -elexier. Den politisch engagierten intellektuellen Jurastudent trifft sie so häufig wie möglich und nimmt schließlich selbst ein Jurastudium auf. Zeitweilig studieren beide gemeinsam in Berlin. Aber Helmuth versucht auch den 400 km von Berlin entfernten elterlichen Gutshof in Kreisau/ Schlesien, der in wirtschaftlich schwierigen Problemen steckt, zu konsolidieren. Das Paar ist häufig getrennt bleibt aber eng verbunden.

Auch nach der Hochzeit 1931 ist das Paar aufgrund Helmuth von Moltkes beruflicher Beanspruchung, seiner Reisen auch ins Ausland und später der zunehmenden Aktivitäten im Widerstand immer wieder auch für längere Zeit getrennt. Freya übernimmt die Rolle der Gutsherrin Obwohl großbürgerlich in der Stadt aufgewachsen, findet sie Gefallen am arbeitsreichen, ländlichen Leben. Sie setzt zwar ihr Studium fort und promoviert, aber trotz der guten Ausbildung richtet sie ihr ganzes Leben und Streben an Helmuth aus und verzichtet auf eine eigene berufliche Tätigkeit. In den folgenden Jahren von 1935 bis zur Verhaftung ihres Mannes und schließlich der Flucht 1945 führt Freya den Gutsbetrieb, den Haushalt und bekommt 2 Söhne. Sie unterstützt Helmuth stets bei seinen zunehmenden Aktivitäten in der Widerstandsbewegung und hält ihm den Rücken frei.

Während des Gefängnisaufenthaltes erlebt das Ehepaar zum ersten Mal eine große Nähe. Freya hält sich so viel wie möglich in Berlin auf. Besucht ihren Mann so oft es ihr erlaubt wird, fährt in die Haftanstalt um Wäsche zu tauschen, Nahrungsmittel abzugeben und einfach nur in seiner Nähe zu sein. Es gelingt dem Paar täglich Briefe auszutauschen, die der Freund und Gefängnispastor Poelchau hinein- und hinausschmuggelt. In diesen Briefen geben sich die beiden gegenseitig Stärke und vertiefen ihre Liebe und ihren christlichen Glauben um die kommende Trennung und Hinrichtung, von deren Unabdingbarkeit beide überzeugt sind, zu verkraften. Freya lebt nur noch für diese Beziehung. Es scheint, dass ihr nun zum ersten Mal wirkliche Beachtung durch ihren Mann zuteil wird.

Nach Helmuth von Molkes Hinrichtung im Januar 1945 nehmen die Sorge um Gut Kreisau und am Ende Flucht und Überleben in den Kriegswirren Freya voll und ganz in Anspruch. Einige Jahre lebt sie mit den Söhnen in Südafrika. Nach der langsamen Konsolidierung wird es Freyas vornehmliche Aufgabe, das Andenken ihres Mannes und den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Erinnerung zu halten. Die vom Kreisauer Kreis niedergeschriebenen Ideen für ein soziales und demokratisches Deutschland nach dem Krieg sollen nicht untergehen. Jetzt zeigt sich was in Freya steckt, sie unternimmt Vortragsreisen, transkribiert die Briefe aus der Gefangenschaft, knüpft Kontakte, engagiert sich für die Organisation Cripple Care. Sie tritt aus dem Schatten ihres Mannes und der Familie.

Bis sie schließlich 1956 in Berlin den charismatischen, intellektuellen früheren Lehrer ihres Mannes, den verheirateten und 23 Jahre älteren Wissenschaftler Eugen Rosenstein, wieder trifft und sich Knall auf Fall verliebt. Und wieder wird sie zur starken Frau im Schatten eines großen Mannes. Nach einer emotionalen und aufreibenden Dreiecksbeziehung stirbt die Ehefrau Rosenzweigs 1959 und ein Jahr später bezieht Freya die Rosensteinsche Villa in Harwich/ USA. Das Andenken an ihren ersten Mann hält sie weiter hoch und unterstützt entsprechende Buchprojekte.

Nach dem Tode Rosenstocks wird sie wieder öffentlich aktiv. Nun hat sie das Erbe zweier "querliegender" Männer (wie sie es nennt) zu verwalten. Der Eugen Rosenstock-Huessy Fund und das Norwich Center  werden neu gegründet. Sie engagiert sich in einer Verbraucher Genossenschaft, veröffentlicht die Briefe aus der Gefangenschaft erstmalig und besucht zum ersten Mal seit Kriegsende Kreisau. Sie setzt sich für die deutsch-polnische Aussöhnung und den Erhalt des Gutes und die Schaffung eine internationale Begegnungsstätte ein. 1998 ist es so weit: die Begegnungsstätte wird im Beisein von Freya durch Helmut Kohl und den polnischen Ministerpräsidenten Jerzy Buzek eingeweiht. Nach einem bewegten und engagierten Leben stirbt Freya 2010 mit 99 Jahren.