Kürzlich nahm ich an einem Kiezspaziergang durch unsere Nachbarschaft teil. Unter anderem wurde darauf hingewiesen, dass das ehrwürdige alte Gebäude der jetzigen Volkshochschule nach Sebastian Haffner benannt wurde, weil dessen Vater dort Schuldirektor war und er dort aufgewachsen ist. Das brachte mir ein Buch in Erinnerung, dass ich vor vielen Jahren gelesen hatte: "Sebastian Haffner- Geschichte eines Deutschen- Die Erinnerungen 1914-1933".

Als ich das Buch aus dem Bücherregal zog und zu lesen begann, hat es mich sofort wieder mitgerissen. Nicht nur erklärt Haffner eindrucksvoll, wie der erste Weltkrieg begann und wie er selbst von dem Begeisterungssog mitgerissen wurde, sondern er beschreibt insbesondere die politische Situation und die Gefühlslage der Deutschen in der Weimarer Republik, während der Novemberrevolution und zur Zeit der Machtübernahme Hitlers. Hungersnot, Elend, Massenarbeitslosigkeit, politische Unruhe und Zerrissenheit beobachtet der damals junge Autor und kommentiert die Lage weise und vorausschauend. Man mag teilweise nicht glauben, dass die Aufzeichnungen echte Zeitdokumente sind, so glasklar und distanziert werden die Umstände, die Gefühle der Menschen und die Reaktionen seziert und analysiert. Das System Hitler und der Nationalsozialismus, rechte Propaganda und die Zerrissenheit des sozialistischen und kommunistischen Lagers werden verständlich beschrieben und beleuchtet.
Aus eigener Erfahrung und Betroffenheit schildert Haffner die Veränderungen im privaten Umfeld. Wie das Gift der Nazis langsam in die hintersten Winkel des Familienlebens sickert. Wie deren Ideologie Wirkung nicht nur politisch und gesellschaftlich sondern bis in das Privatleben hinein entfaltet. Er schreibt nicht aus der Position eines Verfolgten sondern der eines stillen Beobachters.
Wer gern mal Zeitzeugen fragt: "Wie konntet ihr das zulassen? Warum habt Ihr nichts getan?" Der findet in diesem Buch Antworten. Ich zumindest hatte nach der Lektüre das Gefühl, dass ich wohl unter den damaligen Umständen auch nicht der Mutigen Eine gewesen wäre.
Dieses Buch sollte m.E. Pflichtlektüre in den Oberstufen der Schulen werden. Es ist nicht nur gelebte Geschichte, sondern Spiegel der Zeit in der wir leben und der Verführungen, denen wir alle gelegentlich anheimfallen. Parallelen zu heutigen politischen Entwicklungen sind auffallend.