Mittwoch, 25. April 2018

In Mondnächten von Ami McKay

Neulich fiel mir dieses Buch in die Hand. Ja, in Berlin passiert es, dass Bücher einem "zufallen". Wer hier seinen Bücherbestand ausmistet denkt an all die bedürftigen Leser dort draußen und stellt eine Bücherbox vor die Haustür, auf den Fenstersims oder die Mauer. Es dauert nicht lange und es haben sich Abnehmer für den Lesestoff gefunden. Auf diese Weise haben schon einige Bücher den Weg in mein heimisches Regal gefunden. Gerade letzte Woche eine 8-bändige Sammlung der Goetheschen Werke aus dem Jahr 1880!

Das hier zu beschreibende Buch fand ich in einer Kiste im Hausflur des Mietshauses, in dem unser Sohn wohnt. Der Titel und der noch neue Einband animierten mich, das Buch mitzunehmen.  Zu Hause dann: Ernüchterung. Auf dem Einband heißt es: Nova Scotia zu Beginn des 20. Jahrhunderts: die junge Hebamme Dora Rare kennt gegen jedes Leiden das richtige Kraut. Sie weiß wofür frischer Tau gut ist, wie man ein Kind auf die Welt singt und womit man betrunkene Männer besänftigt. Oh je, bin ich hier an eines von diesen esoterischen, verträumten Büchern geraten, die die Geburt eines Kindes "schön schreiben" und einen glauben machen wollen, dass die Geburtsschmerzen gar leicht zu ertragen sind, wenn man alles der Natur überlässt?

Nein! Als ich in Ermangelung neuen Lesestoffes dann begann dieses Buch zu lesen, war es ganz anders als erwartet. Hier wird das Leben von Frauen erzählt, die in rauher Natur an einem einsamen, unwirtlichen Fleckchen Erde unter schwierigsten Bedingungen ihr Leben, das ihrer Familie vor allem aber das Überleben ihrer Kinder sichern müssen. Die Einwanderer müssen der Natur das Land zum Anbau der Nahrung abringen, müssen ihr Hab und gute vor den Unbilden rauer Naturgewalten schützen. Die Männer sind beim Fischfang der rauhen See ausgesetzt. Die Frauen sind häufig von vielen Schwangerschaften  ausgezehrt, Geburten sind oftmals eine lebensgefährliche Angelegenheit. Es ist ein hartes, entbehrungsreiches Leben, weit entfernt vom nächsten Ort, in dem Geschäfte, Apotheke und Arzt zu finden sind. Eine alte Einsiedlerin, die über Heilkräfte und medizinisches Wissen verfügt, ist die einzige Hilfe für die Frauen und ihre Familien bei Krankheiten, Verletzungen und bei Schwangerschaft und Geburt. Sie hat über Jahrzehnte jedes Kind in Scots Bay zur Welt gebracht. Trotzdem ist die Heilerin Außenseiterin, wird als Hexe gebrandmarkt und lebt nur geduldet am Rande der Gesellschaft. Lediglich die junge Dora Dare, einziges Mädchen in einem Jungenhaushalt, fühlt sich der alten Frau zugetan, lernt von ihr die geheimen Rezepturen und geht ihr schließlich sogar bei Geburten zur Hand.

In der nächst größeren Ortschaft siedelt sich ein Arzt an, der den Frauen mehr Sicherheit und Schmerzfreiheit bei der Geburt verspricht. Im Rahmen seiner Patientenwerbung verunglimpft er die Heilerin und Hebamme und findet AnhängerInnen, die sich gegen die Alte wenden. Als die alte Heilerin verstirbt und die junge Dora deren Platz eingenommen hat, kommt es zu schicksalhaften Tragödien, die ihr angelastet werden und schließlich zu ihrer Flucht führen. Aber Dora gibt nicht auf und kehrt eines Tages zurück um sich der Anklage zu stellen.

Spannend und mitreißend wird in diesem Buch das Leben und Überleben von Frauen in einer Zeit geschildert, in der sie häufig von ihren Männern unterdrückt und misshandelt wurden und wegen vieler Schwangerschaften und fehlender Schonung körperlich entkräftet und krank waren. Dennoch kämpfen sie für sich und ihre Familien und ein kleines Glück. Die junge Dora erstarkt in ihrer Rolle, getragen von ihren Freundinnen, die ihr durch schwere Zeiten helfen. Sie behauptet sich gegen die Männerwelt und emanzipiert sich gegenüber der modernen Medizin. 

Haruki Murakami: Sputnik Sweetheart

Murakami schreibt in diesem kleinen, feinen Buch über unerfüllte Liebe, innige Freundschaft, Träume, tiefe Einsamkeit und Selbstzweifel. Aber die Geschichte, die er für uns entspinnt, ist weit weg von Tragik und Drama. Mit solcher Poesie und Selbstverständlichkeit bringt er uns die Gefühle der Protagonisten nahe, dass wir die Sinnsuche der Romanfiguren gespannt verfolgen und sie in ihre Träume begleiten.

Ein namentlich nicht bekannter  junger Lehrer ist der Erzähler und mit Sumire befreundet. Mit ihr kann er lange Dialoge führen, wie mit niemandem sonst. Aber sie strapaziert die Freundschaft auch durch nächtliche Anrufe, unbarmherzige Offenheit und ihr Unvermögen zu erkennen, wie sehr er ihr über die reine Freundschaft hinaus zugetan ist. Sumire hat mit ihrer Familie gebrochen und ihr Studium aufgegeben. Sie unterwirft sich nicht den Alltagsregeln, pflegt keine Kontakte, hat keine Liebesbeziehung. Sie ist ein Punk. Aber ihr Kopf ist voll von Fragen, von Überlegungen, Geschichten, die heraus wollen. Zwanghaft und ungeordnet schreibt sie Tag und Nacht.

Bis sie eines Tages eine Frau kennen lernt, in die sie sich verliebt und deren Assistentin sie wird. Nun wandelt sich die Unangepasste schlagartig innerlich und äußerlich in das Gegenteil. Mit Businesssuite und hohen Hacken wird organisiert, verhandelt und auf Geschäftsreise gegangen. Nur: ihre Liebe bleibt unerkannt und unerwidert. Ebenso wie die ihres Freundes zu ihr. Eine auf allen Seiten unerfüllte Amour fou.

Als Sumire bei einem Urlaub in Griechenland verschwindet, vermischen sich zunehmend Traum und Wirklichkeit. Man erkennt mehr und mehr, dass die drei Hauptfiguren sonderbar an sich vorbei leben. Über die Suche nach Sumire werden manche Geheimnisse gelüftet. Aber am Ende ist es wie am Anfang : das Leben geht weiter, nur ohne Sumire.