Samstag, 10. Januar 2015

Amon- mein Großvater hätte mich erschossen 

Was kann ein Mensch ertragen? Von der Mutter fortgegeben und verleugnet, den Vater nicht gekannt.  Die prägenden Lebensjahre in einem Säuglingsheim verbringen. Als schwarzes Adoptivkind bei weißen Adoptiveltern und in einem komplett weißen Umfeld aufgewachsen. Wie findet man so seine Identität? Wem sehe ich ähnlich? Von wem habe ich diese und jene Eigenart? Wer ist meine Familie? Werde ich geliebt?

Jennifer Teege hat all diese Erfahrungen machen und all diese Fragen stellen müssen. Die Mutter bringt die Tochter eines nigerianischen Untermieters zur Welt und gibt sie 4 Wochen nach der Geburt in ein Heim. Dort verbringt sie ihre ersten drei Lebensjahre und wird dann in eine Pflegefamile gegeben, die sie später adoptiert.

Ohne enge Bezugsperson wächst Jennifer heran, meistert ihr Leben. Als erwachsene, verheiratete Frau und Mutter wird sie von Depressionen heimgesucht, gegen die sie verzweifelt ankämpft.

Als sie 38 Jahre alt ist, erfährt sie durch Zufall -oder ist es Fügung?- ein schreckliches Familiengeheimnis, dass den Problemen weitere hinzufügt, die jede Vorstellung übersteigen: der Großvater ist ein sadistischer Mörder, die Mutter hat öffentlich über die Familie und den Großvater gesprochen, die Existenz ihrer Tochter aber unterschlagen.

Bin ich ihm ähnlich? Kann ich meinen israelischen Freunden noch in die Augen schauen? Was bedeutet die schwere Schuld meines Großvaters für mich und meine Familie?

In ihrem beeindruckenden Bericht erzählt Jennifer Teege von ihrem Weg durch die tiefe Verzweiflung, die bohrenden Fragen, die Selbstzweifel und die Depression. Sie berichtet von ihrer Suche nach der Wahrheit und ihrem Weg zurück in ein gesundes und glückliches Leben. Ausgerechnet die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der familiären Verstrickung hilft ihr zu sich zu finden und mit sich ins Reine zu kommen.

Eine bewegende Lebensgeschichte, eine sehr persönliche Auseindersetzung mit dem Nationalsozialismus und eine trostspendende Heilung.

Tage wie Salz und Zucker von Shari Shattuck


Ellen Holmes ist eine tragische Gestalt: als Kind vernachlässigt, allein gelassen mit einer alkoholkranken Mutter, die sie eines Tages ihrem Schicksal überließ. Nach traumatischen Erfahrungen in Pflegefamilien wuchs das Mädchen schließlich im Heim auf.
Buchdeckel „Tage wie Salz und Zucker“Die einzige Freude in ihrem Erwachsenenleben ist das Essen. Und so ist sie am Ende eine dicke, einsame junge Frau, die alles daran legt, für ihre Umwelt unsichtbar zu sein. So gelingt es ihr, sich Hänseleien und negativen Reaktionen ihrer Mitmenschen zu entziehen, denn nicht nur ihre Körperfülle sondern auch eine bei einem Unfall zugezogene Entstellung im Gesicht stoßen die Menschen ab. Sie arbeitet nachts, nimmt keinen Kontakt zu Mitmenschen auf, enthält sich jeder Einmischung und Anteilnahme.
Ellen wird tatsächlich für ihre Umwelt unsichtbar und beobachtet alles, was um sie herum passiert genauestens, ohne dass jemand sie dabei wahrnimmt. Akribisch dokumentiert sie die Ereignisse in ihrer Nachbarschaft, ohne je Empathie zu empfinden.
Bis Temerity in ihr Leben stolpert. Sie ist die erste Person seit Jahren, die Ellen "sieht". Dabei hat sie selbst ein Handicap: sie ist blind. Ihre fröhliche, positive Unvoreingenommenheit lässt die Mauern um Ellens Innenleben langsam bröckeln und es entwickelt sich eine tiefe Freundschaft und Zuneigung, die Ellen über sich selbst hinaus wachsen lässt. Und sie gewinnt etwas zurück, was ihr lange verloren gegangen war: Anteilnahme und Mut. Beide Frauen mischen sich in die Ereignisse und schicksalhaften Entwicklungen der Menschen in Ellens Wohnblock und ihrem Arbeitsplatz ein. Immer dort, wo es ungerecht zugeht und jemand sich nicht wehren kann, sind die beiden zur Stelle. Es entwickelt sich eine spannende Geschichte, in der es um Verlust, Drogen, Gewalt, einen Raubüberfall und sogar Mord geht.
Am Ende hat Ellen nicht nur Freunde für´s Leben sondern auch ein ihr eigenes Leben gefunden.
Dieser Roman sprüht vor Menschenliebe und Wärme. Er geht ans Herz und es bereitet dem Leser große Freude, die Auferstehung der unsichtbaren Ellen mitzuerleben.
Ganz klar: 5 von 5 Sternen
P.S. Englische Ausgabe: INVISIBLE ELLEN