Maxim Leo, ein in Ostberlin geborener und aufgewachsener
Journalist, begibt sich auf die Suche nach der Vergangenheit seiner jüdischen
Familie, die dem Nationalsozialismus geschuldet, in alle Winde verstreut ist.
Ganz unterschiedlich verliefen die Bemühungen sich im Ausland in Sicherheit zu
bringen und jeder hatte seine eigenen Strategien und Lebensentwürfe. Ein Onkel
kommt als Kind nach England, eine Tante lebt in Israel, eine andere in
Österreich und eine nächste in den USA. Ihre Lebensgeschichten erforscht Leo in
Interviews mit den noch lebenden Verwandten und deren Nachkommen. Er begibt sich
auf die Reise zu seinen Verwandten in der Ferne. Vor allem die Sehnsucht nach
einer großen Familie ist seine Triebfeder.
Er stellt fest, dass die Generation
der direkt Verfolgten sich verschlossen hat, sich gegen die alte Heimat
gewendet, sich in der neuen Heimat etabliert und Mauern um die Erlebnisse der
Vergangenheit errichtet hat. Aber die Nachfolgegenerationen spüren die Verbindung
zur alten Heimat und zur Familie, die sie nie kennengelernt haben. Sie sind
aufgeschlossen, unvoreingenommen und neugierig. Ihre Identität finden sie sowohl
in der Vergangenheit als auch in ihrer Gegenwart. Selbst die Alten beginnen
sich in diesem Wiederfindungsprozess zu öffnen und ihre Situation zu reflektieren.
Es kommt zu Begegnungen und Erkenntnissen, die nicht nur zeigen, wie das Leben
fern der ursprünglichen Heimat sich auf die kulturelle und persönliche
Entwicklung auswirkt sondern auch, dass eine familiäre Bindung, eine
unabdingbare, innere Nähe zu den Angehörigen der Familie in jedem steckt.
Dieses Buch hat zu mir in einer
Zeit gefunden, in der ich mich intensiv auf die Suche nach meinem jüdischen
Großvater gemacht habe und jetzt weiß, dass er mit seiner Familie nach
Argentinien ausgewandert ist. Viele Fragen, die sich mir stellen, wie fühlt man
sich, wenn man gezwungen wird die Heimat zu verlassen? Kann man im neuen
Heimatland wirklich ankommen, kann es ein Ersatz für die Heimat sein? Wie geht
man mit Demütigung und Erniedrigung um? Kann man der alten Heimat verzeihen,
was sie einem angetan hat? Wie „deutsch“ bleibt man auch unbewusst in einem
neuen Leben? Wie wirken die Verwerfungen im Lebenslauf auf die nachfolgenden
Generationen? Für all diese Fragen bieten die Lebensgeschichten der Familie Leo
mögliche Antworten. Wir erfahren etwas vom „american dream“, dem „very british
way of life“, über das Leben im Kibbuz bis hin zur Boheme der 30er Jahre in
Paris. Das Buch ist nicht nur ein Familienroman, es ist auch ein Psychogramm von
Entwurzelung und Neuanfang, von Demütigung und Verzeihung, vom Hinfallen und
Aufstehen. Und es ist politisch. Denn in allen Ländern, in die die Angehörigen
geflüchtet sind, macht sich der Rechtsruck bemerkbar, blüht der Nationalismus
auf. Ob Brexit, Nethanjahus Siedlungspolitik, Trumps Abschottungspolitik oder
die rechts-konservative Regierung in Österreich. Über 70 Jahre nach Kriegsende,
nach Jahren der Entspannung und des Aufeinanderzugehens, greifen wieder
Unversöhnlichkeit, Kompromisslosigkeit, Ausgrenzung und Abschottung um sich.
Das Interesse an Familie, das
Miteinander und die Verbundenheit über Grenzen und Ozeane hinweg und das
Verständnis dafür, dass wir nicht nur eine Heimat haben, kann vielleicht im
Kleinen dazu beitragen, dass wir uns an Vielfalt freuen und neugierig bleiben.
Das Buch ist letztlich auch ein
Plädoyer für Familienforschung. Nicht erst dann Fragen zu stellen, wenn nicht
mehr geantwortet werden kann. Ich wünschte, dieses Bewusstsein wäre eher bei
mir angekommen. Dann müsste ich heute nicht so mühsam Puzzleteilchen suchen und
damit leben, dass einige Flächen leer bleiben werden .