Dienstag, 25. Oktober 2016

Schmuddelwetter-Lesezeit

Jetzt sind sie wieder da: die grauen, regennassen Tage, die einem auf´s Gemuet schlagen. Im Freundeskreis sind etliche auf die spanischen Inseln oder gar in die Karibik gefluechtet. Heute war zum ersten Mal in diesem Herbst der Fernsehturm im Nebel verschwunden. Einzig die Verpflichtungen gegenueber dem geliebten Vierbeiner vermögen den inneren Schweinehund zu ueberwinden und einen ins Schmuddelwetter zu treiben.
Aber: jetzt ist auch die Zeit der Schmöker! Wenn nicht jetzt, wann sonst ist die Zeit um dicke Wälzer hervorzuholen und sich auf stundenlange Leseeinheiten auf dem Sofa einzurichten? 
Einer Empfehlung folgend habe ich mit einer Trilogie von Ken Follett begonnen. Erster Teil "Sturz der Titanen" (1037 Seiten); zweiter Teil "Winter der Welt" (1040 Seiten); dritter Teil "Kinder der Freiheit" (1216 Seiten).
Den zweiten Teil habe ich nun fast zu Ende gelesen, ich denke, da kann ich schon einmal eine Beurteilung abgegeben. Ken Follett rollt die Geschichte Europas im 20./21. Jahrhundert vom 1. Weltkrieg bis hin zum Fall der Berliner Mauer mit Hilfe der Geschichte dreier Familien auf, die jeweils in Russland, Amerika und Deutschland leben und ueber die Jahre immer wieder miteinander in Beziehung stehen. Alle bedeutsamen Ereignisse der Epoche, mögen es die Streiks um bessere Arbeitsbedingungen in den Minen von Wales, der Beginn des ersten Weltkriegs, die Revolution in Russland, Ost-West-Spionage, die Machtergreifung der Nationalsozialisten, der Bau der ersten A-Bombe, der Angriff auf Pearl Harbour, Stalingrad oder der Fall Berlins sein: alle diese Ereignisse sind sorgsam recherchiert und in ihrem politischen Zusammenhang dargestellt. Die persönlichen Erfahrungen der Akteure im Roman bringen uns die jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen nahe. Man hat das Gefuehl,  die damalige Zeit und die politischen Verwicklungen besser zu verstehen. Die Ausschmueckung mit den allzu menschlichen Schicksalen, Anpassung, Widerstand, Glueck und Unglueck, Liebe und Hass machen die sehr seitenstarken Bände kurzweilig und gut lesbar. Sprachlich sind sie keine Herausforderung. Ob das an der Uebersetzung aus dem Englischen liegt, kann ich nicht sagen. Immerhin sind einige offensichtliche Uebersetzungs- und Sprachfehler enthalten.
Meine Leseempfehlung: unterhaltsamer und gleichzeitig lehrreicher Lesestoff fuer unangenehme Herbst- und kalte Wintertage. Wunderbare Urlaubslektuere. Die Bände bauen aufeinander auf, können aber auch gut einzeln gelesen werden.  




Sonntag, 21. August 2016

Ein Wälzer, der es in sich hat: Frank Schätzing BREAKING NEWS



Auf den ersten Blick und nach den ersten Seiten kommt Breaking News als typisches Männerbuch daher. Was meine ich damit? Es geht um Krieg, um Gewalt, Geheimdienste, Terrorismus, um Gefahr und tödliche Konfrontationen. Nicht so wirklich das, was Frauen gerne lesen (sorry wenn ich ein wenig stereotyp klinge). Hauptakteur ist Tom Hagen, ein Starreporter, wie er unsympathischer nicht sein könnte: egoistisch, untreu, versoffen, karrieregeil, unzuverlässig und über die Maßen Gefahren zugeneigt, die meist zum Schaden Anderer auslaufen.
Aber: das ist bei Weitem nicht das Maßgebliche an diesem Buch. Interessant wird es durch den Erzählstrang, der den Weg von Ariel Sharon von der Kindheit bis zum Tod und seine politischen Winkelzüge beschreibt und vor allem um die Aufarbeitung des Nah-Ost-Konfliktes und seiner Ursprünge. Schätzing seziert die menschlichen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergründe der Gründung Israels, der Lage der Palästinenser und die emotionalen und religiösen Befindlichkeiten auf beiden Seiten der Konfliktparteien. Man bekommt das Gefühl, erstmals zu verstehen „was da unten eigentlich los ist“. Und da wurde dann das Buch auch für mich als Frau interessant und die oben genannten anderen Komponenten wurden zu Beiwerk, das dennoch eindringlich ein Bild davon zeichnet, mit welchen Gefahren und Bedrohungen die Menschen im Nahen Osten tagtäglich konfrontiert sind. Wie unberechenbar die Lage ist.
Wenn die Erzählung erst einmal in Fahrt gekommen ist, lässt sie einen nicht mehr los. Wer etwas über die Geschichte Israels, Fanatismus, Glaubenskrieg, Kolonialpolitik und die damit einhergehenden menschlichen Tragödien erfahren möchte, und das verpackt in einen kurzweiligen und spannenden Roman, für den gilt diese Leseempfehlung: 5 von fünf Sternen

Dienstag, 28. Juni 2016

DIE DEUTSCHSTUNDE -Revival-

Wozu doch so eine lange Nacht der Museen gut ist:

Am Wochenende sah ich im Sprengelmuseum zu Hannover ein Gemälde von Emil Nolde. Das erinnerte mich an eines meiner ewigen Lieblingsbücher "Die Deutschstunde" von Siegfried Lenz, das ich 1977 für mich entdeckte. In diesem Roman wird die Geschichte des Sohnes des Dorfpolizisten Jepsen erzählt, der in fanatischer Pflichterfüllung das Malverbot gegenüber dem expressionistischen Maler Nansen (deutlich an Nolde orientiert) durchsetzen will. Dem 10jährigen S
ohn Siggi ist der Künstler ein Ersatzvater, der ihm die Bedeutung von Freiheit und Kunst nahe bringt. Die Rettung der Gemälde vor dem Zugriff des Nazivaters wird dem Jungen zur Obsession. Als Insasse einer Hamburger Besserungsanstalt erzählt er seine Geschichte.



Siegfried Lenz versteht es wie kein zweiter die Geschichte aus düsterer Zeit mit Humor und Phantasie zu erzählen. Wir tauchen ein in die gemächliche Welt der Fischköppe zwischen Watt, Wind, Willkür und Deutschtum und Meer. Gruselige Gestalten und beängstigende Situationen bringen einem die "Impressionen" nahe, die den Maler inspirieren und den Jungen mitreißen. Und die wortgewaltige Beschreibung, mit der Lenz die Entstehung einiger Gemälde darstellt, ist wahrlich berauschend und hat mir (eigentlich Kunstbanausin, was moderne Malerei angeht), die Werke von Nolde näher gebracht.

Ich freue mich über diese Erinnerung und kann das Buch -und den Film von 1971- nur empfehlen, obwohl es alte Schinken sind.

So.... nun muss ich lesen gehen

Donnerstag, 28. Januar 2016

Andere Zeiten und die Familie Mann

Die Aufgabe unseres Bauernhauses in Burgdorf, ein Umzug nach Berlin, der Abschied vom Arbeitsleben und eine vorübergehende Wochenendehe haben mein Leben auf den Kopf gestellt. Nichts ist mehr wie es war. Das finde ich schön und spannend und freue mich über jeden Tag, den ich nach eigenem Ermessen ohne Fremdbestimmung gestalten kann. Noch hat sich keine wirkliche Routine eingestellt. In der neuen Wohnung ist noch nicht alles "fertig". Das ist auch gut so: alles wächst sich zurecht. Mit viel Zeit kann ich einfach abwarten, wann mein Gefühl mir sagt, welches Möbelstück fehlt, welches zu viel ist. Welche Dekoration passt, welche nicht. Ich bin selbst gespannt, wie es am Ende sein wird.
Eines nur beunruhigt mich: durch die viele Arbeit mit der Haushaltsauflösung und dem Umzug und den Fokus auf das neue Leben in Berlin, ist meine "Leserate" deutlich gesunken. Schon lange habe ich nicht mehr ein Buch nach dem anderen verschlungen. Von meinen vielen Büchern musste ich den größten Teil wegen Platzmangels weggeben. Gott-sei-Dank ist meine Tochter ein ebenso großer Bücherfan wie ich und hat meinen Büchern Asyl gewährt. Sie sind also nicht ganz aus meinem Leben verschwunden.
Nun hoffe ich sehr, dass meine Leselust wieder wächst. Im Moment scheint es so, als würde meine alte Liebe Thomas Mann mir dabei helfen! Zu Weihnachten bekam ich "Die Manns- Geschichte einer Familie" von Tilman Lahme geschenkt. Eine weitere von vielen Biografien über Deutschlands berühmteste Literatenfamilie. Mit den meisten Ereignissen und Lebensgeschichten des Zauberers und seiner Kinder bin ich schon bekannt. Sei es die Biografie von Klaus Harpprecht, die Katia Autobiografie, Erika Manns "Mein Vater, der Zauberer" oder die Aufzeichnungen der Schwiegermutter Hedwig Pringsheim "Meine Manns". Alles habe ich schon verschlungen. Man möchte meinen, es gäbe nicht Neues mehr. Aber hier wartet Tilmann Lahme mit etwas auf, was einem selbst wegen der Vielzahl der unterschiedlichen Informationen nicht gelingen mag: er verknüpft die Ereignisse im Leben der verschiedenen Manns, setzt sie ins Verhältnis zueinander und man bekommt mehr Gefühl dafür, wie diese Familie wohl "getickt" hat, wie unterschiedlich die Perspektiven auf die Ereignisse sind. Vor allem auch wie die unscheinbaren Kinder Golo und Monika sich im Reigen der prominenten Familienangehörigen gefühlt haben. Die Manns: aus meiner Sicht keine liebende Familie, keine wertschätzenden Eltern. Intellektuell, anspruchsvoll, prätentiös. Schonungslos bis beleidigend offen, unehrlich und geheimnisvoll, liberal und konservativ großbürgerlich zugleich. Alles in allem: widersprüchlich. So ist und wird diese Familie immer interessant sein und wird wohl noch Jahrzehnte (oder gar Jahrhunderte?) weiteren Stoff für Biografen, Familienforscher, Psychologen usw. bieten. Und für mich und viele andere wird der interessante Lesestoff nie ausgehen. Vielen Dank, liebe Manns, Sie haben mir den Weg zurück zum Lesen bereitet!