Karl Liebknecht 1919 |
Wenn man, wie ich, in den 50/60er Jahren in Westdeutschland aufgewachsen ist, dann
hat man nicht viel über die Novemberrevolution von 1918, die Geschichte der
kommunistischen Partei und die Rolle der SPD in der Weimarer Republik erfahren. Kommunismus war der Erzfeind und die SPD hatte bereits erfolgreich ihre kommunistischen Wurzeln verdrängt. Und wer im Westen gelebt hat, kann auch kaum nachvollziehen, wie man
sich im Osten gefühlt hat, besonders als die Grenze geöffnet wurde.
Hier füllt das Buch von Charlotte Roth "Als wir noch unsterblich waren"
die Wissenslücke auf spannende und lesbare Art in Romanform. Die
Lebenswege von Paula und Alexandra und der des Westberliner Studenten
Oliver kreuzen sich und sind auf erstaunliche Weise miteinander verknüpft. Die Aufdeckung
der Liebesgeschichte ihrer Oma verbindet die Epoche der Herbstrevolution
und der Weimarer Republik mit der Zeit der Wende 1989. Die politischen
Ereignisse in Deutschland in den Jahren 1912 bis 1933 werden durch die
Liebesgeschichte von Paula und dem charismatischen Studentenführer Clemes lebendig. Die
ökologischen und sozialen Folgen der Industrialisierung, die Schrecken des ersten Weltkrieges und seine schlimmen Folgen für die Bevölkerung, die
Arbeiterbewegung, politischer Verrat und der Zerfall der Republik, der
den Aufstieg der Nationalsozialisten zur Folge hat: Paula ist mittendrin
und erlebt Geschichte hautnah.
56 Jahre später erlebt Paulas unpolitische Enkelin Alexandra in Berlin den Fall der Mauer und die Wende. Ihre Welt bricht zusammen, nichts ist mehr, wie es war. Eine einfache, ereignislose Welt. Bescheiden und schlicht. An das hektische Leben, den tosenden Verkehr und die Menschenmassen im Westen muss sie sich erst gewöhnen. Aber noch am Abend der Maueröffnung lernt Alex den Westberliner Studenten Oliver kennen und verliebt sich.
Die Momi, wichtigste Person in Alexandras Leben, soll den jungen Mann kennenlernen. Aber warum lehnt die Großmutter ihn, den sie niemals zuvor gesehen haben kann, so entschieden ab? So erschrocken ist sie von der Begegnung, dass sie zusammenbricht und mit einem Schlaganfall ins Krankenhaus muss. Was weiß Alex überhaupt über Leben und Schicksal ihrer Momi? Mithilfe von Oliver gelingt es Alex, die Geschichte ihrer Oma nachzuzeichnen. Das Bild einer lebensfrohen, couragierten und höchst politischen Frau entsteht. Und die erschütternde Geschichte hinter Momis Abscheu gegen Oliver klärt sich auf.