Mittwoch, 15. Oktober 2014

Wissen ist Macht - zu viel Wissen ist zu viel Macht

Wir erfahren jeden Tag Dinge, die wir nicht einordnen können, Informationen überfluten uns und doch ... wissen wir oft zu wenig, um uns ein Urteil bilden zu können. Wir sind allein gelassen in der Flut und werden im Strudel mitgerissen. In Windeseile verbreiten sich Kenntnisse über Ereignisse, über Personen, Geheimnisse, Peinlichkeiten und Spektakuläres. Die Medien und das Internet beschmeissen uns regelrecht mit Informationen, die ungewollt an uns haften bleiben. Unsere Neugier wird geweckt, im Strom der öffentlichen Meinung und Empörung verlieren wir uns und erkennen uns manchmal selbst nicht mehr. In unserem Bedürfnis alles zu bewerten und zu beurteilen saugen wir unbegrenzt mehr und mehr Informationen auf. Wir merken nicht, wo wir und warum wir manipuliert werden. Wissen ist Macht- und die Macht haben die Medien und das Internet. Jede in Details mit Bildern veröffentlichte Tragödie wird so öffentlich, dass Betroffene nicht mehr trauern, keine Ruhe mehr finden können. Jedes Vergehen wird im Nu öffentlich breit getreten, es besteht kaum eine Chance dem öffentlichen Urteil zu entgehen und Reue zu empfinden um neu zu starten. Es werden persönliche, politische und militärische Geheimnisse ausgeplaudert und in jeden Winkel der Welt getragen. Damit kann die öffentliche Sicherheit gefährdet, die persönliche Integrität geschädigt und eine gute Sache zum Scheitern gebracht werden.


Ich will Bescheid wissen-Ich will nicht alles wissen-Ich will alles verstehen-Ich kann das nicht verstehen-Ich will informiert sein-Ich will meine Ruhe haben.

                                                                     Zerissenheit

Freitag, 26. September 2014

Ein Buch für Wessis

Karl Liebknecht am 05.01.1919 vor dem Innenministerium in Berlin
Karl Liebknecht 1919


Wenn man, wie ich, in den 50/60er Jahren in Westdeutschland aufgewachsen ist, dann hat man nicht viel über die Novemberrevolution von 1918, die Geschichte der kommunistischen Partei und die Rolle der SPD in der Weimarer Republik erfahren. Kommunismus war der Erzfeind und die SPD hatte bereits erfolgreich ihre kommunistischen Wurzeln verdrängt. Und wer im Westen gelebt hat, kann auch kaum nachvollziehen, wie man sich im Osten gefühlt hat, besonders als die Grenze geöffnet wurde.

Hier füllt das Buch von Charlotte Roth "Als wir noch unsterblich waren"  die Wissenslücke auf spannende und lesbare Art in Romanform. Die Lebenswege von Paula und Alexandra und der des Westberliner Studenten Oliver kreuzen sich und sind auf erstaunliche Weise miteinander verknüpft. Die Aufdeckung der Liebesgeschichte ihrer Oma verbindet die Epoche der Herbstrevolution und der Weimarer Republik mit der Zeit der Wende 1989. Die politischen Ereignisse in Deutschland in den Jahren 1912 bis 1933 werden durch die Liebesgeschichte von Paula und dem charismatischen Studentenführer Clemes lebendig. Die ökologischen und sozialen Folgen der Industrialisierung, die Schrecken des ersten Weltkrieges und seine schlimmen Folgen für die Bevölkerung, die Arbeiterbewegung, politischer Verrat und der Zerfall der Republik, der den Aufstieg der Nationalsozialisten zur Folge hat: Paula ist mittendrin und erlebt Geschichte hautnah.

56 Jahre später erlebt Paulas unpolitische Enkelin Alexandra in Berlin den Fall der Mauer und die Wende. Ihre Welt bricht zusammen, nichts ist mehr, wie es war. Eine einfache, ereignislose Welt. Bescheiden und schlicht. An das hektische Leben, den tosenden Verkehr und die Menschenmassen im Westen muss sie sich erst gewöhnen.  Aber noch am Abend der Maueröffnung lernt Alex den Westberliner Studenten  Oliver kennen und verliebt sich.

Die Momi, wichtigste Person in Alexandras Leben, soll den jungen Mann kennenlernen. Aber warum lehnt die Großmutter ihn, den sie niemals zuvor gesehen haben kann, so entschieden ab? So erschrocken ist sie von der Begegnung, dass sie zusammenbricht und mit einem Schlaganfall ins Krankenhaus muss. Was weiß Alex überhaupt über Leben und Schicksal ihrer Momi? Mithilfe von Oliver gelingt es Alex, die Geschichte ihrer Oma nachzuzeichnen. Das Bild einer lebensfrohen, couragierten und höchst politischen Frau entsteht. Und die erschütternde Geschichte hinter Momis Abscheu gegen Oliver klärt sich auf.

Sonntag, 20. April 2014

Pilgern auf dem Sofa

"Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry"

Ich habe Harold Fry auf seinem Fußmarsch durch England von der Südküste bis an die Grenze Schottlands begleitet. Mit ihm bin ich durch sein Leben gepilgert. Ich habe von dem größten Schmerz in seinem Leben erfahren, habe Sprachlosigkeit und den Verlust der Liebe in seinem Leben mit ihm erlitten, von seinen tiefsten Kränkungen wie auch von seiner größten Schuld erfahren, die ihn zu dieser übermenschlichen Anstrengung, die ihn an seine körperlichen und geistigen Grenzen bringt, antreiben. Mit ihm habe ich einen Schmerz durchlitten, den nur Eltern nachempfinden können. Ich habe mit ihm gelernt, dass es nicht selbstverständlich ist, am Ziel einer langen, beschwerlichen Reise, getragen von dem Glauben an Wiedergutmachung, die Erleichterung und Vergebung zu finden, die man sich erhofft hat. Das Leben und die Erkenntnis nehmen ungeahnte Wendungen und sind unberechenbar. Aber auch unberechenbar gnädig. Und eine verloren geglaubte Liebe, ist am Ende nur verschüttet: unter Schmerz, Angst, Schuld, Unzulänglichkeit und Sprachlosigkeit. Wenn diese Trümmer beseitigt sind, ist die Liebe zurück. Stark und unverbrüchlich. Das ist es, was Harold Fry durch seine weite und entbehrungsreiche Reise erfährt: nichts ist für immer fort, nicht die Liebe und auch nicht der Schmerz und nicht die Trauer. Alles in allem, eine tröstliche Erkenntnis, die ihn zu seiner Frau, ins Leben und in die gemeinsame Zukunft zurück führt.
 
Rachel Joyce hat einen sehr erwachsenen Roman geschrieben, der vor allem Leser ansprechen wird, die schon viel Leben hinter sich haben und mit der Gewissheit weiter leben, dass der größere Teil der Reise hinter ihnen liegt und der kleinere nicht vergeudet werden sollte.